1/2 Schritt vor, 5 zurück
Wieder ein halbes Jahr vergangen. Zwischendurch war es schon mal besser, war aushaltbar, tragbar, anstrengend, aber zu händeln. Momente von Frieden, von Wohlgefühl sind zwar sehr selten, aber manchmal erscheint es mir sogar, als habe die Baseline sich etwas zum Positiven verändert - als kehre ich nach der einsetzenden Welle nicht wieder zurück an den Anfang. Oft revidiert sich dieser Eindruck wieder. Dann gibt es Stunden, Tage, Wochen - da ist es wie zu Beginn. Ein akathisieartiger Terror-Zustand. Ohne Benzo, ohne immense Selbstdisziplin und Rückzug geht dann gar nichts. Die Gefühle, die Zustände sind nicht weniger als grausam und mindestens unbeschreiblich schlimm. Ich sitze, physisch und mental, in einem abstürzenden Flugzeug - so fühlt sich das in etwa an. Es ist dann, als wäre zwischen den Gedanken/Gefühlen und mir selbst keine Trennung mehr - sie nehmen mich völlig ein und entfernen mich von der Realität mit ihrer Intensität und Dringlichkeit. Filterlos bin ich.
Alles kommt wieder und es gibt immer auch noch Neues, nach so vielen Monaten.
Was immer da ist, ein basales Symptom, ist dieser schwer gestörte Schlaf, diese terroristischen Traumwalzen und einnehmenden Ungefühle beim Erwachen. Die ganze Schlafarchitektur ist zerscheppert. Jeden Monat gibt es eine, maximal zwei Nächte, nach denen ich nicht erwache, als hätte mich jemand in die Hölle gejagt, sondern in dieser angenehmen Entspannung, aus der heraus man den Wecker noch wegdrücken möchte. Jeder kennt kurze Nächte, nach denen man den Eindruck hat, als hätte man nicht geschlafen - so in etwa ist das jede Nacht, nur dass meine Nächte eingewoben sind in Angst, Anspannung und Terrorgefühle. Ich träume von den Zuständen, von der Ausweglosigkeit. Ich kann oft nicht unterscheiden: Geschehen sie gerade, oder träume ich sie. Frührmorgens liege ich in diesem Elend und fühle mich traumatisiert, habe das Gefühl ich kann keine Sekunde mehr weiterleben mit diesen Gefühlen. Während sie dann ganz allmählich abklingen, verbleibt diese tiefe Erschütterung den ganzen Tag in mir.
Entspannung, und das ist auch basal, ist immer noch kaum möglich, der Körper steht unter Druck, mal mehr, mal weniger, aber immer so doll, dass Ruhe, Genuß, Wohlbefinden nicht erreichbar sind, allenfalls mal in Spuren. Ich lebe in konstanter Anhedonie. Das allein ist aushaltbar, nicht gut aber zu überstehen. In seltenen Minuten des Wohlgefühls fängt mein Herz an zu glühen, sehe ich die Schönheit der Welt als sehe ich sie zum ersten Mal. Höre ich Musik und möchte tanzen. Spüre ich Normalität und möchte feiern, dass ich es überstanden habe, aber es ist nicht überstanden. Es war nur ein Fenster.
Die letzte Welle begann wieder mit einem pseudo-grippalen Zustand, mit Gelenkschmerzen, Fiebergefühl ohne Fieber zu haben und heftigem Herzklopfen, bei jeder noch so geringen Bewegung. Der Kopf spinnt. Das Denken überschlägt sich. Jeder Gedanke erzeugt eine ekelhafte Art von Stress in den Eingeweiden; es kommt ein wahlloser Gedanke und sofort schießt eine Spannung und Panik aus der Magengrube empor und drückt sich in jede Faser, durch den ganzen Körper, es fehlt jegliches Regulativ. In solchen Phasen passiert das zyklisch, alle paar Minuten schießt der Stress durch meinen Körper bis in den Kopf und dann zuckt es im Oberstübchen und mein Gehirn schwappt im Schädel hin und her. Ich fühle mich auf seltsame Weise eingesperrt in mir, in meiner eigenen Gedankenwelt. Das fühlt sich schlimm an.
Wieder mal kann ich nicht lesen, kann einfache Zusammenhänge nicht verstehen, kann nicht Kopfrechnen, kann nichts planen, nichts behalten, keine simplen Strategien im Geiste entwickeln. Ich kann mich besser an meine Träume erinnern, als an die Geschehnisse des gestrigen Tages und bin sehr damit beschäftigt, dass das keiner merkt.
Sehr schlechte Tage: ich gehe sprichwörtlich im Kreis, kann die Zustände kaum aushalten, inneres Rasen, Ablenkung tut weh, ohne Ablenkung sein ist unmöglich, das sind Gefühle und Gedanken die so abwegig sind, die kann sich kein Mensch vorstellen. Ich gehe durch die Wohnung und wiege mich vor und zurück. Immer wieder ploppen existenzialistische Terrorgedanken auf, egal wie sehr ich mich ablenke, sie umhüllen mich mit dem Hauch des Wahnsinns, des Haltverlustes, des Absturzes, ich habe den Eindruck zu zerbrechen. Ich weiß gar nicht, was das schlimmere ist, die Gedanken oder die unmittelbar danach einsetzenden Gefühle? Dazu ist das Derealisations- und Depersonalisationsgefühl so stark, als sei ich nicht mehr Teil dieser Welt, als sei ich kurz vor dem Verschwinden. Das ist wirklich schlimm und eigentlich ein unlebbarer Zustand. Die Wahrnehmung ist völlig verzerrt. Alles ist wie abgedunkelt, dann wieder zu hell, dann fremd und unheimlich, dann wie eine Zeitreise - Erinnerungsfetzen aus unterschiedlichen Lebenszeiten spulen wie Filme durch meinen Kopf. Es ist gruselig, ständig habe ich Déjà-vus, morgens vor allem fühle ich mich so, wie ich mir einen psychotisch deliranten Zustand vorstelle.
Ich fühle mich substanzlos und unreal, alle Aussenreize kratzen mir auf meiner dünnen Haut wie rostige Schraubenzieher auf Blech. Gleichzeitig fühle ich mich unberührbar, so elendig abgetrennt von mir selbst und der Welt. Ich frage mich wieder und wieder, wer hat mir das angetan? Warum habe ich nicht früher meinen Kopf eingeschaltet und kritisch betrachtet, was da vor sich geht? Warum habe ich mir in blindem Vertrauen in die Medizin und riesigem Misstrauen mir selbst gegenüber dieses Gift über Jahre in den Körper gepumpt?
In meinem Kopf ist es ganz laut, ständig wechselnde Ohrwürmer, Satzfetzen, Wörter, laute Gedanken zirkulieren und drücken physisch von innen an die Schädeldecke. Dann gibt es Wutattacken, gegen alles, gegen mich, an manchen Tagen alle 30 Minuten, Immer wieder habe ich das Gefühl zu zerplatzen, das innere Bild mir mit einem Messer die Haut vom Körper zu schälen. Erschreckend ist das. Das bin ich nicht, aber das passiert in mir.
Gar nichts mehr fühlt sich natürlich und normal an, alles steht in Flammen, die Zukunft ist nicht spürbar, die Vergangenheit ebensowenig, alles ist fremd und noch dazu unglaublich sinnlos.
Ich habe schon vor längerem angefangen meinen Geist ganz intensiv zu beschäftigen, eine von vielen Strategien, dass Ganze zu überstehen. ich grabe mich in bestimmte Themen rein, schreibe, rätsele, alles nur um den Gedanken nicht freien Fluß zu lassen. Wenn das nicht hilft, dann laufe ich im Schneckentempo durch die Lande, 60 Minuten, 90 MInuten, bis die natürlichen biochemischen Prozesse den Wahnsinn etwas mildern - hilft aber auch nur phasenweise.
All die hilfreichen Methoden helfen nichts mehr, wenn der Zustand zu arg wird - kein Atmen, kein Ablenken, kein Laufen, kein Yoga, nix - im Gegenteil, sie steigern die Unerträglichkeit nur noch. Dann passiert in mir Folgendes: Ich ziehe mich mental auf ein Parallelgleis zurück, irgendwo neben meine Gedanken und Gefühle. Sie sind nicht weg, es ist nur, als trete ich einen Schritt zur Seite. Eine Art unbeängstigende Dissoziation, so als kauere ich in einem Nachbarraum des Terrrogeschehens. Es ist da, es rumort nebenan, ich spüre die Anwesenheit und bin doch ein klein wenig geschützt. Oft funktioniert das, nicht immer. Der Preis ist, dass ich nicht mehr klar bin, nicht mehr an der Welt teilhabe, eine Art Randexistenz führe, dumpf bin. Egal.
Es ist immer wieder eine unerträgliche innere Qual, eine mentale Tortur. Die man mir nicht ansehen kann, immer noch nicht, es zerreisst mich innerlich, aber man sieht es nicht. Diese unfassbaren Gefühle, unfassbaren Zustände. Nichts davon kann man sehen. Ich bin alleine mit der Unbeschreiblichkeit. Wenn Du versuchst es zu erzählen, wird jeder etwas anderes daraus machen, auf Basis seiner eigenen, begrenzten Erfahrungen. Die einen denken, ich sei irgendwie depressiv ("Geh raus, dann wird es besser"), die anderen denken ich habe einfach Angst ("überwinde Dich, dann lässt die Angst nach"), keiner versteht irgendwas. Also spreche ich nicht mehr darüber. Ich lege mir zwei drei Sätze zurecht, die ich abspulen kann, wenn Fragen kommen. Wenn es thematisch um Medikamente geht, gerate ich innerhalb von Sekunden in ein Gefühlsgemisch aus Hass, Ohnmacht und überwältigender Hilflosigkeit, das ich kaum kontrollieren kann. Also meide ich auch das.
Ich werde verrückt, ich BIN verrückt, ich platze, ich zerreisse, ich verschwinde von der Welt. Mir wurde mein Leben geklaut. Wie allen, denen so etwas geschieht, bin ich immer stumm und fassungslos, mal voll mit Hass, mal resigniert und ergeben. Trotzdem geht es weiter. Von den damals, in großer Hast eindosierten Pillen, hangele ich mich in ausgedehnter Langsamkeit herunter. Man hat kaum mehr Spielraum, ist das Nervensystem einmal "angesäuert". Alles triggert. Kaffee, Tee, winzige Pillenreduktionen, Essen, Lachen, Bilder, Gedanken, Wetter etc. etc...
Weiter gehts.